Aus der Nachbarschaft
Sie brennen für Chili
Marianne Kneubühl und Philipp Roth machen mit «reingemachtes» Chilisaucen und mehr. Wie sie die exotische Frucht in Luzerner Küchen bringen.
Als Erstes öffnet Philipp Roth ein Glas mit pürierter, fermentierter Chili «Limón». Er hat sie eingesalzen und nicht weniger als sechs Jahre reifen lassen. Die Schärfe breitet sich wie ein Lauffeuer auf Zunge und Gaumen aus. Es braucht ein paar Dar-Vida mit mildem Tomatenconfit, bis der Mund sich für die nächste Degustation beruhigt hat: «Kill Bill». Diesmal genehmigen wir uns nur einen Hauch einer Messerspitze, mit Schärfeklasse 6–7 ist diese Variante schon ein anderes Kaliber. «Messerscharf», sagt Philipp Roth mit einem Blitzen in den Augen. «Man schmeckt die Passionsfruchtnote.» Das Feuer bleibt noch lange an den Lippen haften, nachdem es im Rachen längst still geworden ist. Dagegen ist «Sombrero» mit der Schärfe 2 nur noch ein fruchtig-säuerliches Kribbeln.
Autorin und Fotograf sitzen am Esstisch von Marianne Kneubühl und Philipp Roth, die gemeinsam «reingemachtes» gegründet haben. «Rein» in die Gläser kommt hauptsächlich Chili in seinen vielfältigen Facetten, es ist aber im doppelten Wortsinn «rein», weil auf Konservierungsstoffe und künstliche Aromen verzichtet wird. Auf diese Weise füllen die beiden pro Saison, abhängig von der Ernte, rund 500 Gläsli.
Gut behütet aufgezogen
Bis es so weit ist, ist es allerdings ein langer Prozess. Zu Beginn des Jahres kommen die Samen in Anzuchttöpfe neben dem bodentiefen Fenster in der Stube. Geschützt durch einen Tunnel und dank einer speziellen Pflanzenleuchte mit viel Helligkeit keimen die heiklen Samen hier langsam. Dann werden sie umgetopft, behutsam aus ihrer geschützten Atmosphäre rund um die Wohnung entlassen, bevor sie nach den Eisheiligen Mitte Mai auf den Balkon dürfen.
Jedes Jahr ist dies ein anderer Prozess, nicht nur, weil Marianne und Philipp mit den Sorten variieren, sondern auch je nach Wetter und Temperaturen. Nur zwei Drittel bis drei Viertel der Chilifrucht, die sonst in südlicheren Gefilden wächst, reifen denn bis zum Herbst auch wirklich aus. Den Rest trocknet das Paar als Dekoration.
Eine komplexe Sache
Was im Sommer zu tiefroten Früchten herangewachsen ist, veredelt Philipp in einer Gastronomieküche zu einzigartigen Saucen. Dieser Schritt ist entscheidend und erfordert höchste Konzentration: «Was einmal im Glas ist, lässt sich nicht mehr ändern.» Zur Komplexität kommt hinzu, dass sich die Chili im Glas weiterentwickelt. Was in dieser Reifezeit passiert, muss der Koch antizipieren. Die neuste «Kollektion» testen die beiden jeweils mit einem Dutzend Freundinnen und Freunden, um den Schärfegrad breiter abzustützen und der Kundschaft Tipps für den Gebrauch zu geben. Oft fallen da schon erste Ideen für die Produktbezeichnungen. Die Namen sind so klingend wie «Miraculix», «ToxTel145», «Nonnas Würze» oder «Dramaqueen» – und scheinen die Kreativität des Gründerpaars noch nicht so schnell zu erschöpfen.
Fingerspitzengefühl und Liebe fürs Detail
Apropos Kreativität: Der ideenreiche und strategische Kopf hinter der Firma ist Marianne. Während sie im Produktionsprozess vor allem Philipps Handlangerin ist, blüht sie beim Marketing richtig auf. Sie kümmert sich um geeignete Verkaufskanäle, Flyer, Visitenkarten und Website. Auch den Degustationsrunden gibt Marianne einen professionellen Rahmen, damit die notwendigen Einschätzungen systematisch erhoben werden können.
«Es macht Freude, die Chili von der Frucht auf den Teller zu transformieren», erzählt die Luzernerin. Sie seien sehr experimentell unterwegs, würden auch sonst einfach wahnsinnig viel Verschiedenes aus aller Welt essen. Da passe dieses Hobby, das viel Fingerspitzengefühl und Liebe fürs Detail erfordert, perfekt.
Was dabei Marianne wie auch Philipp gleichermassen wichtig ist, ist die Nachhaltigkeit. Sie ermöglichen mit «reingemachtes» ein üblicherweise exotisches Produkt, das von A bis Z in der Schweiz hergestellt wurde. Der Herstellungsprozess erfordert ein Minimum an Energie, können die Gläser doch nach dem traditionellen Haltbarmachen ohne Kühlung sehr lange gelagert werden und müssen erst nach dem Öffnen in den Kühlschrank. Ebenfalls werden retournierte Gläser gereinigt, sterilisiert und wiederverwendet.
Weil er über die Jahre einen Ruf aufgebaut hat als einer, der fast alles verwerten kann, macht Philipp auch Restposten von anderem Obst oder Gemüse ein. «Ich bekomme dann manchmal einen Anruf, dass zehn Migros-Säcke Quitten oder hundert Kilo Cherrytomaten übrig sind», lacht er. Dann macht er Konfi, Sirup – oder eben das herzhafte Confit, das er zum Neutralisieren reicht.
Unerschöpflich in der Vielfalt
Als die Zunge langsam abgekühlt ist, bleibt noch eine Frage: Warum ausgerechnet Chili? Philipp Roth und Marianne Kneubühl sind schon viel gereist. Im Bücherregal stehen, neben reihenweise Kochbüchern, Fotoalben mit Erinnerungen aus Südostasien, Thailand und China. Hier begann die Faszination für Chilis zu keimen, «eine Frucht, die praktisch unerschöpflich ist in ihrer Vielfalt». Nach Jahren des Experimentierens und Ausprobierens zwang die Pandemie sie zur Wahl: aufhören oder durchstarten. Sie entschieden sich für Letzteres und professionalisierten «reingemachtes» mit einer GmbH. Heute kann man die Produkte online, an ausgewählten Standorten oder direkt bei ihnen im Weinbergli beziehen. Kleine Pop-up-Stores, in der Grösse einer herkömmlichen Holzkiste, lassen sich praktisch überall integrieren. Zwischendurch heizt Philipp mit seinem Wok-Anhänger auch mal einer Party ein.
Der Weg, den Marianne und Philipp eingeschlagen haben, stimmt für die zwei. Sie freuen sich über ihren Fortschritt und Erfolg, möchten aber gar nicht allzu gross werden. «Es ist uns wichtig, dass wir das Herz bei der Sache behalten.» Eins ist sicher: An Feuer fehlt es diesem Projekt nicht.