Aus der Nachbarschaft

Vom Durchschnittswohnen zum Kleinstwohnen

Alles, was es braucht, ist vorhanden. Das Bett kann bei Nichtgebrauch eingeklappt werden.

Fürs Wohnen beanspruchen wir sehr viel Fläche. Wie Beispiele zeigen, geht es durchaus mit weniger: Wie sich auf 99 Quadratmetern fast acht Wohnungen realisieren lassen.

Gemäss Bundesamt für Statistik betrug im Jahr 2022 die durchschnittliche Wohnungsfläche 99 Quadratmeter. Seit 2000 (97 Quadratmeter) ist dieser Wert relativ stabil, was sich damit erklären lässt, dass die durchschnittliche Fläche der vor 1981 gebauten Wohnungen (60 Prozent des Wohnungsparks) unter 100 Quadratmetern liegt. Die Fläche der neueren Wohnungen hingegen war im Durchschnitt nie kleiner als 100 Quadratmeter und liegt bei Wohnungen in der Bauperiode zwischen 2001 und 2005 sogar bei 131 Quadratmetern. Glücklicherweise stockt der Trend zu grösseren Wohnungen. Stieg die Durchschnittsfläche einer 3-Zimmer-Wohnung in den letzten 30 Jahren von knapp 80 auf 95 Quadratmeter, halten sich neue 4-Zimmer-Mietwohnungen in städtischen Lagen nun an die 100-Quadratmeter-Marke.

Mehr Leute, gleichbleibende Fläche
Der Wohnflächenanspruch steigt in der Schweiz überproportional zum Bevölkerungswachstum. 1980 lag der durchschnittliche Pro-Kopf-Konsum bei 34 Quadratmetern, 2000 übertraf er 40 Quadratmeter und erreicht nun etwa 60 Quadratmeter. Gemäss inländischer Wohnstatistik (Stand 2017) beanspruchen Einpersonenhaushalte durchschnittlich 80 Quadratmeter. Mehrpersonenhaushalte breiten sich auf knapp 40 Quadratmeter pro Person aus. 

Klimawandel, Bodenverschleiss und steigende Mieten: Die Art und Weise, wie wir heute wohnen, stösst an ihre Grenzen. Mit der Herausforderung, eine zunehmende Zahl von Menschen auf einer gleichbleibenden Fläche unterzubringen, sehen sich viele grosse Städte Europas konfrontiert. Das Reduzieren der individuellen Wohnfläche könnte eine Lösung sein. Wir zeigen hier zwei minimalistische Beispiele: wie aus der durchschnittlichen Fläche eines Schlafzimmers (13 Quadratmeter) eine komplette Wohnung gestaltet werden kann, oder anders formuliert, wie fast acht Kleinstwohnungen auf der durchschnittlichen Wohnfläche von 99 Quadratmetern geplant werden könnten.

Alles, was du brauchst, auf 13 Quadratmetern
Die Kleinstwohnung im Zentrum von London wurde von «Studiomama» entworfen. Jedes Element hat eine andere Funktion. Es gibt ein Bett, einen Arbeitsbereich, Wohnzimmersitzgelegenheiten, eine Küche, ein Badezimmer, Stauraum in Schränken und einen Essbereich. Jeder Schrank ist anders und wurde für eine bestimmte Nutzung entworfen. Die Schränke bieten Platz zur Aufbewahrung von Nähmaschinen, Spielen, Gewürzdosen, Wein, Büchern und anderen Dingen. 

Hinter einer Tür kann ein kleiner Schreibtisch aus dem Schrank gezogen werden, an dem im Stehen gearbeitet werden kann. Die integrierten Stauraumelemente entlang der Wände wurden darauf ausgelegt, diskret zwei Funktionen zu erfüllen. Sie lassen sich einfach erweitern und bieten so zusätzliche Flächen, zum Beispiel für Sitzgelegenheiten. Das Bett befindet sich am schmalen Ende des Raums. Wenn es nicht benutzt wird, kann es eingeklappt werden, was zusätzlichen Platz schafft. Ist es ausgeklappt, hat man auch Zugriff auf zwei schmale Bücherregale und einen Nachtschrank. Die Küche befindet sich am anderen Ende des Raums, wo der schmale Flur von zwei hohen Schränken flankiert wird. Hinter dieser Wand liegt das Badezimmer, der einzige komplett abgetrennte Raum in der Wohnung. 

 

Zur besseren Übersicht: die Wohnung, die links im Bild ist.

Ein weiteres Beispiel für eine Kleinstwohnung: Das zentrale Element im Pariser Apartment von «Batiik ­Studio» ist ein zweistufiges Podest, auf dem die Küche steht. Seine formschöne Begrenzung dient zugleich als Tisch, der sich zur doppelten Breite umklappen lässt. Tagsüber verschwindet das Bett unter der hölzernen Erhebung, halb ausgezogen dient es als Sofa. Dieselbe Fläche wird also zum Schlafen, Essen und Geniessen mehrfach genutzt.

Wohnqualität hängt nicht von Quadratmetern ab
Entscheidend ist nicht per se die Wohnfläche, sondern das Wohnungskonzept. Das einstöckige Tiny House am Waldrand hilft nicht automatisch, die Zersiedelung zu stoppen und den Bodenverbrauch zu minimieren – auch wenn die Wohnfläche insgesamt weniger als 30 Quadratmetern entspricht. Im Gegenteil: In der Masse würden solche Kleinst-Einfamilienhäuser den Infrastrukturkonsum sogar noch weiter beschleunigen. Hier braucht es durchdachte Konzepte, welche die Wohnfläche verringern und verdichtetes Wohnen ermöglichen, ohne dabei die Wohnqualität zu vernachlässigen. 

In der Schweiz wird die Wohnqualität meistens über die Grösse einer Wohnung oder eines Hauses definiert. Das liegt vor allem daran, dass wir es gewohnt sind, für fast jedes Bedürfnis ein eigenes Zimmer zu haben:

Auf derselben Fläche schlafen, essen und geniessen.

Im Wohnzimmer wird gelesen und ferngesehen, im Schlafzimmer geschlafen, im Esszimmer gegessen. Besonders effizient ist das nicht. Es wäre sinnvoller, den Raum diverser zu nutzen. Eine intelligente Planung von Grundrissen sowie ein Angebot von gemeinsam genutzten Räumen oder hybriden Zimmern bieten Vielfalt und Wohnqualität, ohne übermässig Platz zu verbrauchen. 99 Quadratmeter ist also eine Grösse, die es in Zukunft geschickt zu optimieren gilt...